Wie fühlt es sich an einen Marathon zu laufen- ein Erfahrungsbericht

Nachdem Andrea berichtet hat, wie ihr Marathonleben verlaufen ist, verfolgte mich die Idee über meinen ersten und bisher einzigen Marathon zu berichten.

Ich lief 2011 den Frankfurt Marathon.

Die Zeit davor und der Lauf an sich spielten sich ungefähr so ab:

„Zweiundvierzigkommaeinsneunfünf“ wiederholt mein Arbeitskollege ehrfürchtig. „Und warum die zerquetschte?“. Schnell sind weitere Kolleginnen beim Thema und bringen die Story vom jungen Griechen, der die Siegesnachricht zu übermitteln hatte. Und natürlich, dass er, nach der Zielerreichung tot umgefallen ist. „Na prima“, denk ich.

Abends beim Training beschäftigt sie mich wieder. Die Frage aller Fragen: „Werde ich das schaffen?“ Ich denke an die 6 Wochen Training, die hinter mir liegen. Tausend Rad-Grundlagen Kilometer stecken in meinen Beinen. Ich folge dem Plan vom Trainer zu 100%. Habe mein Mantra gefunden: Ich bin dankbar, dass ich einen Marathon laufen darf und weiß nun auch, wie ich Energie durch abklatschen aufsauge. Denke zum zweiten Mal am Tag „Na prima“ und laufe erleichtert in die Abenddämmerung. Hab ja noch 6 Wochen.

5 Wochen vorm Marathon

Seit gestern hab ich ein neues Mantra: „Blasenschmerzen sind keine Schmerzen“. Der Doktor ist der Meinung, dass dieser Schmerz am Fuß wirklich nicht der Rede wert ist, weil es ja nichts wirklich Elementares ist. Eine Mitläuferin verstärkt die Meinung. Sie sagt, es regiert immer nur der Schmerz, der am heftigsten ist. Aha. Wenn ich also irgendwann im Körper einen anderen, stärkeren Schmerz spüre, ist die Blase am Fuß vergessen. Nun gut. Ich versuche mich wieder auf das positivste der Mantras zu konzentrieren: „Ich bin dankbar, dass ich einen Marathon laufen darf.“

4 Wochen vorm Marathon

Eine Plantarfaszitis… Das ist keine immergrüne Zimmerpflanze, auch wenn der Name es vermuten lasst. Nein. Kurz und verständlich ist es eine Entzündung der Fuß-Sohlen-Sehne. Auch kein Spaß. Besonders unlustig: das Einzige was hilft ist nicht zu Laufen. Horror! Auf was soll ich mich jetzt konzentrieren?

3 Wochen vorm Marathon

Die selbstverschriebene Therapie hat gewirkt. Die Fuß-Sohle schmerzt nur noch wenig. Also auf zum großen Test. Am ersten wirklich frostig-kalten Sonntag im Monat trifft sich die Laufgruppe im Wald zur „Berühmten Acht“. Eine Schlaufe im Wald, die 4,5 Mal gelaufen wird: und raus kommen 30 km. Für uns alle ein wichtiger Lauf um zu sehen, wo wir stehen. Oder eben laufen ?

Es läuft gut. Die Laufkollegin und ich laufen nebeneinander her und wissen: solange wir uns noch locker unterhalten können, laufen wir im richtigen Bereich und machen nichts falsch. Irgendwann bei Kilometer 21 kommt der Hunger… Mist, die geplante Verpflegung war wohl nicht richtig durchdacht. Ich bekomme ein Gel in die Hände gedrückt und es schmeckte unglaublich lecker und versorgt mich wieder mit Energie.

Ich kann meine 30 Kilometer also doch durchlaufen, komme ins Ziel und fühle mich gut.

Nur noch 3 Wochen. Schock. Wie konnte die Zeit nur so rennen? Und ich renn mit. Mindestens 40 km die Woche in Summe. Jeder Lauf strengt an. Wann wird’s bei mir endlich mal „laufen“?

2 Wochen vorm Marathon

Ich laufe früh morgens, mit nichts als einem Honigbrot im Magen (natürlich hab ich mir den Wecker extra früher gestellt um das energiebringende Frühstück noch rechtzeitig vor dem Lauf zu verspeisen und zu verdauen) am nebelverhangenen Bodensee entlang. Eine Strecke, die andere nicht mal mit dem Rad, sondern wenn überhaupt, mit dem Auto fahren würden.

Also nur ich, die Laufschuhe und meine mittlerweile überall zwickenden Körperteile oberhalb der Laufschuhe. Ich denke so bei mir: cool. Der letzte lange Lauf vor dem Marathon und weiß in dem Moment nicht so recht, ob mich das freut, oder nicht. Zum Einen (Glas halb leer) ist es so, dass diese langen Läufe schon schlauchen, anstrengen und einen guten Teil des Tages in Anspruch nehmen. Zum Anderen (Glas halb voll) ist es wunderschön so mit sich und den Laufschuhen die Gegenden zu erkunden und immer fitter zu werden. Ich ziehe ein Fazit: „Okay. Das Glas ist Halb!“

Nur noch 1 Woche

Ab jetzt fahre ich das Pensum runter. Hab mir extra Urlaub genommen. Will soweit alles Mögliche tun um echt fit zu sein. Na gut, um Bestzeiten im Sinne von „Ich lauf dann mal als Erste in die Festhalle ein“, geht es bei mir sicher nicht. Aber egal. Ich denk mir, dass jeder in seiner Klasse die entsprechenden Ambitionen an den Tag legen kann.

Noch 4 Tage

Darf nicht an den Start denken. Stellen sich sofort Magenschmerzen ein. Klares Zeichen von Aufregung. Ist ja aber auch kaum zu vermeiden. Wir haben unter den Marathon-Läufern so was wie eine Standleitung. Mein Leben dreht sich nur noch um Wasser, Kohlenhydrate und Erholung. Der Rest läuft einfach nur so mit! Wenn der Lauf an sich doch hoffentlich so einfach wird. Ach ja: Die Wetter-App meldet gutes Wetter für Sonntag. Ich hoffe noch auf ein paar Wolken (aber bitte ohne Regen)!

2 Tage vor dem Marathon

Traditionell treffen wir uns zur Nudelparty. Wir gehen nochmal alles ganz genau durch. Die Rookies profitieren von den Erlebnisberichten der erfahrenen Marathonläufer. Gemeinsam wird der Marathon-Tag durchgeplant: von Anreise, bis Traineransprache, über Startblöcke bis zum Ziel und der Heimfahrt.

Das tut gut. Die Sache bekommt Kontur.

Jetzt stehe ich also am Start

Unglaublich, eigentlich bin ich relativ ruhig. Ich dachte, die Aufregung wäre schlimmer. Ich denk mir: „Du bist gut vorbereitet, um Dich herum sind so viele andere, die das heute auch schaffen werden und außerdem gibt es jetzt keinen Weg mehr zurück, denn meine Ansage war klar: Ich laufe jetzt einen verdammten Marathon.“

Das mit dem Laufen dauert etwas. Bis ich die Startlinie unter mir lasse vergehen 15 Minuten. Viele gute Leute vor mir. Egal! Genug Zeit, das Rennkonzept im Kopf nochmal durchzugehen. „Also, bis Kilometer 30 wird nicht gejammert, denn soweit bist du schon gelaufen. Zwischen Kilometer 30-36 wird’s dann unspektakulär, das ist super, denn du magst es unspektakulär beim Laufen. Zwischen Kilometer 36-42 bist du dann wieder in der City, da trägt dich die Stimmung ins Ziel.“

Eigentlich ganz einfach.

Eigentlich…

Den Marathon laufen

Ich lief locker mit den Laufgruppenkollegen los. Wir fühlten uns gut und mussten uns eher bremsen. Wahnsinn, was die Frankfurter an Unterhaltung und Support am Rand der Strecke so zu bieten haben. An vielen Wegpunkten stehen Bands und Sambagruppen. Wow, wie klasse ist das denn? Das ist Gänsehaut pur. An diesen Stellen fühlt sich laufen wie fliegen an. Auch schön sind die Kommentare vom Streckenrand: „Hierfür habt ihr monatelang trainiert. Jetzt könnt ihr die Leistung abrufen … und danach is‘ endlich emal Ruh‘…“ Alle lachen. Bis Kilometer 24 fliegen die Kilometer-Marken nur so vorbei. Es ist toll.

Auf einmal: Mein Magen krampft, die Kehle schreit nach Wasser. Was muss, das muss. Leider leidet der Schnitt, denn jeder Schritt fällt mir schwer. Das Ziel ist noch so weit weg, aber ganz nah ist die Straßenbahn, die rechts vom mir Leute so einfach in die Stadt befördert. Ich laufe und gehe Mantra für Mantra durch, welche ich mir für solche Fälle zurechtgelegt hatte.

Irgendwann war ich wieder bei mir. Circa genau in dem Moment, als ich die 32 Kilometer-Marke passierte. Und dann geschah es. Ich schaffte die simple Rechnung in meinem unterzuckerten Hirn mit letzter Kraft: 42-32 ist gleich 10. Also jetzt aber! Stell Dich mal nicht so an! Wie oft bist du schon 10 Kilometer gelaufen? Das ist ja wohl gelacht. Und wenn du kriechen musst. Ich klatsche Kinderhände ab (Energie aufsaugen), bin dankbar, dass ich einen Marathon laufen darf und sage mir: „Magenschmerzen sind keine Schmerzen“.

Irgendwann (3 Kilometer vor Ziel) laufe ich völlig euphorisch an meinen persönlichen Fans, (die sich den ganzen Tag im kalten Frankfurt nur für mich herumgetrieben haben) vorüber und kreische: „Ich schaff das! Ich schaff’s ins Ziel!!!“ und ja, ich nähere mich der Festhalle. Und das mit Genuss. So viele Menschen, die mich nochmal anfeuern. Ich grinse nur noch. Sehe von außen wohl vollkommen bescheuert aus, aber von innen fühl ich mich wie eine Heldin. Das ist mein Lauf.

Dann: Hammermann. Menschen. Jubel. Musik. Festhalle. Tränen. Disco. Treppen. Medaille. Trainer. Ich bin durch! Und überglücklich! Dieser berauschte Zustand hält an bis weit übers Ziel hinaus. Eigentlich noch bis heute. Was für ein schönes Erlebnis. Ich bin dankbar, dass ich einen Marathon laufen durfte!

Eine Woche nach dem Marathon

Das Gefühl lässt nicht nach. Ich bin einfach unglaublich stolz, dass ich den Marathon geschafft habe. Es war ein unglaublich intensives Erlebnis.

Auch Jahre später, wie jetzt, wenn ich den Text lese, bekomme ich eine Gänsehaut. Ich bin seit 2011 keinen weiteren Marathon mehr gelaufen. Aber ich würde niemals nie sagen.

Bildnachweis: Joshua Sortino on Unsplash

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