Der Atem – ein Trainingsgerät? Du meinst, wir übertreiben ein wenig? Dann lass dich überraschen, du kannst es gleich direkt selbst ausprobieren… Aber jetzt erst mal tief einatmen und weiterlesen.
Warum wir mit dem Atem gegen den Stress arbeiten können:
Na? Hast du in diesem Moment mal bewusst darauf geachtet, wie du atmest? Eher flach und kurz? Oder tief und intensiv? Oder irgendwas… dazwischen?
Kurz und knackig: Über den Atem kannst du deinen Stress regulieren. Der Atem wirkt sich nämlich auf unser vegetatives Nervensystem aus. Dieses regelt viele automatisch ablaufenden Körperfunktionen, wie Herzschlag, Verdauung, Stoffwechsel, Puls und Muskelspannung. Und natürlich: den Atem! Der Atem ist wie ein Bindeglied zwischen dir und all dem, was in deinem Körper ganz automatisch – also autonom – abläuft. Über ihn kannst du das gesamte System regulieren. Klasse, oder?
Du willst es etwas genauer wissen? Dann lies weiter:
Das vegetative Nervensystem wird auch autonomes Nervensystem genannt. Das heißt, die oben genannten Körperfunktionen laufen automatisch ab und sie werden vom Menschen nicht aktiv gesteuert. Und das ist gut so! Stell dir vor, du müsstest aktiv darauf achten, dass dein Herz schlägt, dass deine Verdauung anspringt oder welche Frequenz dein Puls haben soll.
Untersysteme des vegetativen Nervensystems sind der Parasympathikus und der Sympathikus. Beide werfen völlig unterschiedliche Funktionen in die Waagschale und sind immer bestrebt, ein Gleichgewicht zwischen den Kräften herzustellen – gemeinsam bilden sie eine Einheit.
Schau hier, was die beiden Systeme regulieren:
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Der parasympathische Teil ist unsere erholte und entspannte Seite. Er sorgt dafür, dass du dich erholst, er entspannt den Körper nach Anstrengungen, fährt den Puls runter, setzt die Verdauung in Gang und entspannt die Muskeln.
Der sympathische Teil ist zuständig für unsere unterbewussten “aktiven” Funktionen. Er besteht aus Nervenfasern und bestimmt unter anderem auch die Ausschüttung von Hormonen, wie z.B. Adrenalin. Bei Stress läuft der Sympathikus zur Höchstform auf. Er bereitet uns darauf vor, Leistung zu bringen. Der Herzschlag steigt, die Verdauung wird gehemmt, die Muskeln sind bereit für Kampf oder Flucht.
Der Atem kann uns wieder ins Gleichgewicht bringen:
Mit der Atmung kannst du indirekt das Verhältnis zwischen Parasympathikus (Erholung und Entspannung) und Sympathikus (Aktion und Leistung) beeinflussen:
Durch langsames, tiefes und bewusstes Atmen reduzierst du die Sympathikusaktivität. Der Parasympathikus bekommt sofort mehr Spielraum und regelt Muskelanspannung und Blutdruck herunter. Das wirkt sich beruhigend auf dein gesamtes Nervensystem aus.
Ja, ja, ja … das klingt jetzt irgendwie ein wenig nach Lehrbuch, hat aber eine geniale Auswirkung: Du kannst mit deiner Atmung direkt dein Stresslevel und dein Wohlbefinden verändern.
Na – hast du Lust es direkt auszuprobieren?
Dein Atemtraining – so geht’s:
Soviel zur Theorie! Wie wäre es, direkt in dein Atemtraining einzusteigen? Jetzt kannst du direkt ausprobieren, wie sich dein Atem auf den Parasympathikus einwirkt:
- Setz dich bequem hin, oder leg dich entspannt auf den Rücken.
- Entspanne deine Muskulatur: Arme, Beine, Gesäß, Kiefer.
- Achte ganz genau auf deinen Atem: Geht er langsam oder schnell? Atmest du durch die Nase oder den Mund? Wo genau atmest du hin: In den Bauch oder zwischen die Rippen – oder gibt es noch eine andere Stelle, an der du den Atem spürst?
- Schließ die Augen und atme etwa zwei Sekunden durch die Nase ein und dann in etwa vier Sekunden aus.
- Finde einen kontrollierten Rhythmus und atme ein paar Mal auf diese Weise.
- Achte mal darauf, ob sich beim Ausatmen langsam ein Gefühl der Entspannung einstellt. Ganz ohne Stress, denn den willst du ja reduzieren. Warte einfach, bis du den Effekt spürst.
- Nach einigen Wiederholungen sollte beim langsamen Ausatmen der Herzschlag kurz absinken, ein Anzeichen für den aktivierten Parasympathikus. (Quelle: Patrick Meinart mit Johanna Bayer: Mobility, das große Handbuch; 1. Auflage 2018; riva Verlag; München)
Bist du auf den Geschmack gekommen? Hier -> findest du vier weitere Atemübungen:
- gleichmäßig Ein-und Ausatmen
- länger Aus- als Einatmen
- Wechselatmung
- 4-7-8 Technik
Durch regelmäßiges Atemtraining wirst du routinierter in der Anwendung deines Atems. Es wird dir dann auch in akuten Stress-Situationen gelingen, nicht in Schnappatmung zu verfallen. Stattdessen wirst du ganz bewusst deinen Atem einsetzen und darüber dein Stresslevel steuern können.
Fazit:
Das vegetative Nervensystem lässt sich nicht direkt und willentlich steuern. Erinnere dich an den Fight-or-Flight Modus – dieser läuft ganz automatisch ab. Der Atem ist wie der direkte Draht zu deinem Nervensystem – du kannst es über eine ruhige, tiefe Atmung (in-) direkt beeinflussen und so dein Stresslevel unmittelbar senken.
Willst du dich entspannen, dann atme langsam, tief und bewusst. Das funktioniert übrigens auch umgekehrt: Möchtest du Stress und Anspannung, dann atme schnell und mit viel Druck.
Achte doch in den kommenden Tagen ganz bewusst auf deinen Atem und beobachte, in welcher Situation du wie atmest. Übe dich im Atemtraining und du wirst erstaunt sein, wie effektiv du über deinen Atem dein Stresslevel senken kannst.
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